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Sind künftig längere Wege zur Krankenbehandlung nötig?

Das zumindest fordert die AOK. So sollten Patienten mit komplexen Erkrankungen nicht einfach das nächstgelegene Krankenhaus aufsuchen, sondern sich an spezialisierte Häuser wenden. In Deutschland gäbe es beispielsweise für Patienten mit Krebserkrankungen spezialisierte Versorgungszentren, so Uwe Deh, geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbands. Als er den „Krankenhaus-Report 2015“ vorstellte, erklärte er, dass Patienten in diesen spezialisierten Versorgungszentren eine bessere Behandlung erwarten dürfen, als beispielsweise in Krankenhäusern ohne diese Spezialisierung.

Dies ergibt auch eine gemeinsame Auswertung von der AOK und der Deutschen Krebsgesellschaft. Darin wurden in der Zeit von 2003 bis 2010 3.000 Patientinnen untersucht, die an Brustkrebs litten. Diejenigen Patientinnen, die sich in den zertifizierten Zentren behandeln ließen, wiesen der Analyse zufolge höhere Überlebensraten auf. Auch in anderen Untersuchungen kam man zu ähnlichen Ergebnissen. So erklärte Simone Wesselmann von der Krebsgesellschaft, dass Patienten mit Prostatakrebs, die sich in zertifizierten Zentren behandeln ließen, nach einer nötig gewordenen OP seltener unter Inkontinenz litten, als ihre Leidensgefährten, die eben in nicht zertifizierten Häusern operiert wurden.

Woran erkenne ich spezialisierte Krankenhäuser?

Ein spezialisiertes Krankenhaus zu erkennen, ist für den Patienten allerdings gar nicht so einfach. Denn längst nicht jedes Versorgungszentrum, das sich so nennt, ist auch tatsächlich geeignet. Teilweise gibt es nur bestimmte Abteilungen, die sich als spezialisiert bezeichnen, um auf dem Türschild einen hübscheren Namen zu haben, warnt die AOK.

Für Patienten ist daher eine Zertifizierung wichtig. Wird diese von der Deutschen Krebsgesellschaft vergeben, könnten sich Patienten demnach schon recht sicher sein, ein qualifiziertes Behandlungszentrum zu finden. Denn die Deutsche Krebsgesellschaft führt regelmäßige Zertifizierungsgänge durch, wobei jedoch ein Viertel der Bewerber gar nicht erst zum Verfahren zugelassen werden. Auch können bereits erteilte Zertifizierungen wieder entzogen werden, wenn sich die Qualität verändert.

Vor allem, wenn die Häuser zu wenig Erfahrung und Routine aufweisen, kann eine Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft nicht stattfinden. Kliniken, die sich als Behandlungszentrum für Brustkrebs bewerben wollen, müssen für die Zertifizierung nachweisen, dass sie mindestens 100 Operationen im Jahr durchführen. Bei Lungenkrebs werden sogar 200 Behandlungen pro Jahr gefordert, um die nötige Erfahrung und Routine zu belegen.

Wann sollte man sich in ein zertifiziertes Behandlungszentrum begeben?

Patienten sollten die zertifizierten Behandlungszentren immer dann ansteuern, wenn die Therapie es erfordert, dass mehrere Fachdisziplinen zusammenarbeiten müssen. Auch, wenn für die Behandlung begleitend eine psychologische oder soziale Betreuung notwendig sei, ist es laut AOK ratsam, sich in ein Behandlungszentrum zu begeben. Neben den Krebserkrankungen zählen die Experten dazu auch ausgeprägte Diabetes-Erkrankungen und deren Folgen, sowie chronische Krankheiten.

Allerdings ist bisher unklar, wer für die Zertifizierung verantwortlich sein soll. Die Deutsche Krebsgesellschaft wird bei Behandlungszentren für verschiedene Krebserkrankungen aktiv, bei Diabetes und Co. allerdings hat sie zu wenig Erfahrung. Hier müssten Bund und Länder bei der Klinikreform darauf drängen, mehr Zentren an den Start zu bringen, fordert Deh. Gerade erst hat man ein Eckpunktepapier zur geplanten Krankenhausreform vorgelegt. Das Bundesgesundheitsministerium soll daraus einen Gesetzentwurf entwickeln und diesen bereits in den nächsten Wochen vorstellen.

Warum setzt sich die AOK für zertifizierte Behandlungszentren ein?

Die AOK gibt Jahr für Jahr viele Milliarden Euro für die Behandlung ihrer Mitglieder in Kliniken aus. Sie sieht es als ihre Pflicht an, die Neuorganisation der Krankenhausstruktur in Deutschland mit voranzutreiben. Die Behandlung komplexer Erkrankungen in spezialisierten Behandlungszentren sieht die Krankenkasse dabei als guten Weg an, um beispielsweise Ressourcen zu bündeln, die Qualität der Versorgung zu erhöhen und gleichzeitig Kosten einzusparen.

Auch Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, der den „Krankenhaus-Report 2015“ mit herausgegeben hat, spricht sich für spezialisierte Behandlungszentren aus. Je häufiger ein Eingriff in einer Klinik durchgeführt werde, desto geringer fielen die Kosten aus, die auf den einzelnen Eingriff entfallen. So könnte man dafür sorgen, dass die Kosten im Gesundheitswesen weniger schnell ansteigen als bisher. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass man nicht davon ausgehen könne, die Kosten sogar zu senken.

Diesen Fakt unterstützt Wasem mit der Aussage, dass rund ein Viertel aller Krankenhauskapazitäten, die in Deutschland vorgehalten werden, Leerstand sind. Zu viele Betten, zu wenig Bedarf – das geht langfristig auf Kosten aller, denn auch leere Krankenhausbetten müssen vorgehalten werden und kosten Geld.

Was würde die Bildung von Behandlungszentren für Patienten bedeuten?

Für Patienten würde also nach Ansicht von Deh und Wasem die Behandlungsqualität steigen. Allerdings würden auch viele kleine Krankenhäuser, vor allem im ländlichen Raum, auf der Strecke bleiben, womöglich gar geschlossen werden. Lange Fahrtwege für die Patienten wären die Folge. Bereits heute müssen beispielsweise die AOK-Patienten im Mittel 26 Kilometer weit fahren, um das nächste Versorgungszentrum für Darmkrebs zu erreichen. Bis zum nächsten Krankenhaus sind es dagegen im Schnitt nur zwölf Kilometer.

Allerdings sieht die AOK darin kein Problem. Wenn nachweislich eine bessere Behandlung geboten werden könnte, seien Patienten bereit, auch weitere Strecken in Kauf zu nehmen. Das ergab auch eine Analyse in einem Brustkrebszentrum. 63 Prozent der Patientinnen entschieden sich für die Behandlung im Zentrum, obwohl andere Kliniken näher an ihren Wohnorten lagen.

WiDO-Experte Friedrich hält Fahrtwege bis zu 50 Kilometer für durchaus akzeptabel. Jedoch muss die Politik die letzte Entscheidung dazu treffen und bis es soweit ist, kann es noch dauern.

Quelle: Welt

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