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25 Jahre Mauerfall – ein paar persönliche Erinnerungen

Jeder Mensch hat so seine ganz eigenen Erfahrungen mit den Tagen vor und nach dem Mauerfall am 9. November 1989 gemacht. Mir wird für immer die Stimmung in Leipzig am Abend des 9. Oktober 1989 in Erinnerung bleiben. Schon in der Woche zuvor wurde überall getuschelt, wer denn zur Montagsdemo gehen würde und wer nicht. Nachdem sich in den Wochen zuvor die Zahl der Teilnehmer immer mehr gesteigert hatte, fanden auch immer mehr Menschen den Mut, an den Montagsdemos in Leipzig teilzunehmen.

Der Nachmittag des 9. Oktober 1989 in Leipzig

Der Nachmittag des 9. Oktober 1989 begann für mich damit, dass mir mein jüngerer Sohn beim Wechseln der Windeln einen Fingernagel ins Auge piekste. Deshalb musste ich vom Westen der Stadt bis in den Südosten zum Notdienst der Augenklinik fahren. Schon auf dem Weg dorthin fiel mir eine merkwürdig angespannte Stimmung in der Stadt auf. Zuvor hatte ich die Erfahrung gemacht, dass viele meiner Bekannten nicht erreichbar waren. Von ihren Angehörigen bekam ich die Begründung, dass die Kampfgruppen mobilisiert worden waren. In diesem Moment glaubte ich noch an eine größere Übung, obwohl solche meistens – zumindest den Unternehmen gegenüber – angekündigt wurden, und es eine solche Ankündigung nicht gegeben hatte. Die Straßenbahnen in Richtung Innenstadt waren rappelvoll, aber eigenartigerweise beschwerte sich niemand darüber.

Mein unfreiwilliger Marsch quer durch die Stadt

Nachdem ich in der Augenklinik ziemlich lange hatte warten müssen, machte ich mich von da aus auf dem Heimweg. Ich entschied mich dafür, zum Hauptbahnhof zu laufen und mit der S-Bahn zu fahren, da der Straßenbahnverkehr rund um die Innenstadt komplett zum Erliegen gekommen war. Doch schon in der Straße hinter der Hauptpost kam ich nicht mehr weiter. Dort hatten sich die Kampfgruppen postiert und ließen mich nicht durch. Da half es nicht einmal, meinen Schein von der gerade erfolgten Notbehandlung vorzulegen. Also lief ich außen um den Ring herum, von wo aus es mir gelang, mich zur einstigen „Blechbüchse“ durchzuschlagen. Ein Blick vom inzwischen abgerissenen „Blauen Wunder“ (der Fußgängerbrücke an der „Blechbüchse“) zeigte, warum sich die Kampfgruppen rund um den Ring postiert hatten. Dort waren unüberschaubare Massen aufgelaufen, wie man sie sonst nur von den verordneten Demos am 1. Mai kannte.

Sicherheitskräfte über Sicherheitskräfte rund um die Stadt

Vom „Blauen Wunder“ aus marschierte ich in Richtung Waldplatz, in der Hoffnung, von da aus mit der Straßenbahn weiterfahren zu können. Doch durch den von den Demonstranten komplett blockierten Ring funktionierte auch das nicht, sodass ich mich für einen Fußmarsch entschied, und an der Rückseite des Stadions entlang die Straße durch den Wald wählte. Auf dem Weg traf ich auf zwei weitere Ringe von Sicherheitskräften. Den mittleren Ring stellte die Polizei, die von den Uniformen her Unterstützung von der ehemaligen Transportpolizei der Reichsbahn bekommen hatte. Im Wald selbst war ebenfalls Bewegung, denn dort hatte die Volksarmee Stellung bezogen. Obwohl es inzwischen nach 20 Uhr war, herrschte auf dem Gelände der Staatssicherheit an der Hans-Driesch-Straße noch reges Treiben. Als ich am Leutzscher Rathaus ankam, lief über den Stadtfunk gerade die Ansprache von Kurt Masur, mit der die Massen von gewaltsamen Aktionen abgehalten werden sollten. Seine Stimme zu hören, hatte in diesen Momenten tatsächlich etwas Beruhigendes. Zu Hause angekommen, schaltete ich sofort den Fernseher ein. Als die Zahl von 130.000 Demonstranten genannt wurde, war mir klar, warum die ganzen Sicherheitskräfte aufgeboten worden waren. Wie die meisten anderen Leipziger auch bin ich Kurt Masur, Bernd-Lutz Lange, Roland Wötzel und ihren Helfern noch heute dankbar, dass sie ihre Bekanntheit in die Waagschale geworfen haben, um eine Eskalation an diesem Tag zur verhindern. Die Stimmung an jenem Abend war derart aufgeheizt, dass ein falsches Wort eine Flut von Gewaltakten von beiden Seiten hätte nach sich ziehen können.

Der 9. November 1989 – ein aufregender Abend und eine schlaflose Nacht

Nachdem sich am 6. November 1989 mehr als eine halbe Million Menschen auf dem Ring in Leipzig versammelt hatten, war uns allen klar, dass zeitnah etwas passieren musste. Immerhin war die Zahl der Demonstranten damals schon erheblich höher als die Zahl der Einwohner der Stadt. Am späten Nachmittag des 9. November 1989 hatte ich den Eltern von guten Freunden beim Beräumen der Wohnung ihrer Kinder geholfen, die wenige Tage zuvor zur Botschaft in Prag gefahren und von da aus in die Westhälfte Deutschlands gebracht worden waren. Sie hatten nichts mitgenommen als das, was sie auf dem Leib hatten. Ich war gerade dabei, die Babysachen zu sortieren, die ich von ihnen bekommen hatte, als auf unserer ansonsten sehr ruhigen Nebenstraße auf einmal eine merkwürdige Unruhe war. Ich schaute aus dem Küchenfenster und bemerkte, dass aus allen Häusern Menschen strömten, zu ihren Autos rannten, und hastig davon fuhren. An irgendeiner Umweltwarnung konnte es nicht liegen, denn dann hätte sich die Sirene melden müssen. Die war bei uns nur ein paar Häuser weiter. Sie zu überhören, war also unmöglich gewesen.

Die Nachrichten brachten am 9. November 1989 Aufklärung

Natürlich habe ich sofort den Fernseher eingeschaltet. Auf allen Kanälen liefen die gleichen Nachrichten. Dass der Abend des 9. November 1989 ein denkwürdiger Tag in der deutschen Geschichte werden würde, war mir sofort klar, als ich dort sah und hörte, dass in Berlin ein Grenzübergang erfolgreich von Demonstranten gestürmt worden war. Nun war auch klar, warum sich viele Nachbarn sofort in ihre Trabbis und Skodas geworfen hatten: Sie wollten alle nach Berlin. Von vielen wusste ich, dass sie sich schon längere Zeit mit dem Gedanken an eine Ausreise beschäftigten. Einen Moment lang dachte ich auch darüber nach, meine Kinder zu schnappen und nach Berlin zu fahren. Doch dann siegte die Vernunft. Die DDR-Regierung unternahm nichts, um den Grenzübergang wieder zu schließen. Wenn sie das vorgehabt hätte, hätte sie es sofort und notfalls mit Gewalt getan. Aber wir haben alle in jener denkwürdigen Nacht bis in die frühen Morgenstunden vor dem Fernseher gesessen. Die Stimmung, in der wir uns befanden, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. Es war eine Mischung aus Überraschung, Ungläubigkeit und Erleichterung…

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