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Neue Leitlinie für Behandlung von Angststörungen

Angststörungen sind längst keine Seltenheit mehr. Immer mehr Menschen klagen plötzlich über Herzrasen und weiche Knie. Nicht selten vermuten sie einen Herzinfarkt dahinter oder andere Herzprobleme. Nach einer Odyssee durch verschiedenste Arztpraxen, nach dem x-ten EKG und weiteren Untersuchungen wird festgestellt – organisch ist alles in Ordnung. Erst dann kommt der Gedanke an eine Angststörung auf. Die Patienten haben in der Zwischenzeit schon extrem lange gelitten – und genau das soll nun eine neue Behandlungsleitlinie für Angststörungen verhindern.

Die Leitlinie wurde von Vertretern aus Psychiatrie, Psychotherapie, Allgemeinmedizin und Selbsthilfe in Berlin vorgestellt. Ziel ist es, die Versorgung von Menschen mit Angsterkrankungen zu verbessern. Außerdem soll generell in der Gesellschaft auf die Problematik Phobien aufmerksam gemacht werden.

So viele Angstpatienten leben in Deutschland

AngststoerungenGenerell gehöre Angst zum Leben dazu und habe eine Schutzfunktion, so die Experten. Dennoch kann sie sich, ebenso wie jede andere Emotion, so weit entwickeln, dass sie krank macht. Laut einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland vom Robert-Koch-Institut, erkrankt jeder siebte Deutsche an einer Angststörung.

Dabei sind spezifische Phobien am weitesten verbreitet. Sie stellen die Angst vor bestimmten Gefahren, wie Tieren, Blut, Höhe oder Gewitter dar. Zu den sozialen Phobien zählen insbesondere Ängste vor sozialen Situationen und Interaktionen und bei den generalisierten Angststörungen haben die Betroffenen Angst vor ganz alltäglichen Gefahren.

Angststörungen – die häufigsten psychischen Störungen

Die Angststörungen zählen dabei zu den häufigsten psychischen Störungen in Deutschland. Doch sie gelten als sehr gut behandelbar. Laut dem Psychiater Borwin Bandelow aus Göttingen könne schon im ersten Therapieversuch eine Besserung eintreten – und das bei mehr als 70 Prozent der Patienten. Voraussetzung dafür ist natürlich die richtige Durchführung der Therapiemaßnahmen. Bandelow forscht bereits seit Jahrzehnten im Bereich der Angststörungen und ist auch Mitverfasser der neuen Leitlinie.

Es dauert bei einigen Patienten nur wenige Sitzungen, bis die Angstsymptome zurückgehen, ist er sicher. Gerade die spezifischen Phobien könnten je nach Schweregrad bereits nach fünf Behandlungen gelindert werden, wenn man nach der neuen Leitlinie vorgehe, so Bandelow.

Sebastian Rudolf, Vertreter des Deutschen Fachverbands für Verhaltenstherapie, hat ebenfalls an der 275 Seiten starken Leitlinie mitgearbeitet. Er betont, dass es bereits heute gute Standards für die Behandlung von Angstpatienten gebe, dennoch sind diese bisher nicht weit genug verbreitet. Daher könne noch nicht jeder von diesen Standards profitieren.

Wie die Leitlinie für die Behandlung von Phobien entstand

Insgesamt haben mehr als 20 Fachgesellschaften über sechs Jahre hinweg wissenschaftliche Daten zu den Behandlungsmethoden bei Phobien gesammelt. Auch Daten zu anderen Angststörungen wurden zusammengetragen und anschließend ausgewertet. Die Agoraphobie kann laut Angaben der Verfasser ebenso behandelt werden, wie die Angst vor dem Zahnarzt. Dabei werden drei grundlegende Behandlungsmethoden empfohlen:

  1. Psychotherapie,
  2. Internettherapie und
  3. Medikamente

Die Psychotherapie zur Behandlung von Angststörungen

Die Psychotherapie umfasst vor allem die kognitive Verhaltenstherapie /KVT). Sie gilt als eine der besten Methoden und sollte bei Angststörungen nach der neuen Leitlinie das erste Mittel der Wahl sein. Auch hochwertige Studien konnten diesem Therapieansatz bereits hohe Wirksamkeit bescheinigen.

Eine analytische oder gar tiefenpsychologische Psychotherapie sollte dagegen nur dann zur Anwendung kommen, wenn die KVT nicht wirke oder die Patienten diese Behandlung ausdrücklich wünschten. Allerdings geben die Experten zu bedenken, dass diese Psychotherapie nicht so gute Wirkungen, wie die kognitive Verhaltenstherapie mit sich bringt. Die Gruppentherapie hat zwar noch nicht zu viele offizielle Erkenntnisse zustande gebracht, allerdings wird sie als Ergänzung zur Einzeltherapie als sinnvoll erachtet.

Die Internettherapie gegen Angststörungen

Die zweite Therapieform ist die Internettherapie. Bei einer solchen online durchgeführten Psychotherapie fehlen jedoch aussagekräftige Studien. Die vorliegenden Studien weisen methodische Schwächen auf, so die Verfasser des Leitfadens. Auch ethisch müsse noch ausdiskutiert werden, wie eine Therapie ohne Kontakt zwischen Patient und Therapeut zu bewerten sei. Nicht zuletzt übernehmen die Kassen solche Methoden nicht. Dennoch wird die Internettherapie als Überbrückung, bis ein Platz in der richtigen Psychotherapie frei wird, angeraten.

Medikamente bei Angststörungen

Bisher sind es vor allem Benzodiazepine, die bei Angststörungen verschrieben werden. Immerhin in 50 Prozent der Fälle verordnen Mediziner diese Mittel. Doch die aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen und Phobien rät davon eindringlich ab. Stattdessen sollte besser auf bestimmte Antidepressiva gesetzt werden. Die Annahme, dass Medikamente die Ergebnisse der KVT negativ beeinflussen, wurde in der aktuellen Leitlinie nicht bestätigt. Man geht im Gegenteil sogar davon aus, dass eine Kombination aus KVT und Medikamenten gut helfen könne.

Nicht Schritt für Schritt nach der Leitlinie vorgehen

Trotzdem sollten Ärzte nicht Schritt für Schritt nur nach der Leitlinie vorgehen, so Jürgen Matzat. Er sitzt für die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppe als Vertreter der Patienten im Leitlinien-Gremium. Er sieht die Empfehlungen als Korridor möglicher Maßnahmen, in dem sich Ärzte in Absprache mit den Patienten aufhalten könnten. Wichtig sei zudem, dass die Patienten, die von Angststörungen geplagt werden, zu mündigen Mitentscheidern in der Therapie gemacht werden. Sie müssen sich ihre eigene Meinung bilden können und dementsprechend mitentscheiden, welche Behandlung sie anstreben. Dies ist auch der Grund dafür, dass schon bald eine Version der Leitlinie herausgegeben werden soll, die sich nur an Patienten richtet.

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