Es gibt eine ganze Reihe
Angemessener GdB? – Nein, denn Sie haben Angehörige gepflegt!
Es klingt wie ein schlechter Witz, ist aber Realität. Eine solche Begründung brachte allen Ernstes ein Landratsamt in einer Stellungnahme in einem Verfahren zur Anerkennung einer Schwerbehinderung, das aktuell bei einem Landessozialgericht anhängig ist. Dort heißt es im Statement des beklagten Landratsamts zur Abwehr der Klage wörtlich, dass die Klägerin „über eine sehr lange Zeit über eine ausgeprägt gute Belastbarkeit verfügte, die es ihr immerhin ermöglichte, trotz einer anstrengenden Erwerbssituation schwerkranke Angehörige zu pflegen“. In dem Verfahren fordert die Klägerin eine angemessene Erhöhung des Grads der Behinderung unter anderem aufgrund einer chronischen Schmerzerkrankung. Diese Erkrankung gehört zu den Formen, bei denen nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen psychosozialer Stress erheblich an der Entstehung beteiligt ist. Zudem leidet sie an den Folgen degenerativer Erkrankungen, die durch eine längerfristige körperliche Überlastung verursacht und begünstigt werden. Kurz gesagt: Die Angehörigenpflege hat dazu beigetragen, dass die Betroffene jetzt selbst mit zahlreichen Einschränkungen leben muss. Anstatt eine faire Bewertung zu bekommen, werden die bei der Pflege erbrachten Leistungen als Argument zur Abwehr berechtigter Forderungen benutzt.
Welche Rolle spielt die Angehörigenpflege in Deutschland?
Nach den offiziellen Daten des Statistischen Bundesamts leben reichlich drei Viertel aller pflegebedürftigen Mensch in Deutschland nicht in einem Pflegeheim, sondern werden daheim betreut. Nur etwa ein Drittel der daheim lebenden Pflegebedürftigen nimmt die Unterstützung professioneller und ambulant tätiger Pflegedienste in Anspruch. Im Jahr 2019 lag die Zahl der ausschließlich über die Angehörigenpflege versorgten Menschen bei rund 0,83 Millionen. All die pflegenden Töchter, Söhne, Enkelinnen, Enkel und Geschwister brauchen eine noch bessere Anerkennung ihrer Leistungen. Das an dem Verfahren beteiligte Landratsamt, von dem das obige Zitat stammt, sorgt stattdessen dafür, dass sich die Klägerin für die (noch dazu als alleinerziehende Mutter) über mehrere Jahrzehnte erbrachten Pflege- und Betreuungsleistungen bei mehreren schwerkranken Angehörigen bestraft fühlt. Fazit: Das skandalöse Verhalten dieses Landratsamts darf nicht zum Vorbild für ähnliche Verfahren werden!
Quelle: Statistisches Bundesamt, Kopien von Verfahrensunterlagen
(Anmerkung: Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, möchten wir das Aktenzeichen hier nicht angeben.)
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