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Wald vor Wild: Ist dieser Grundsatz im 21. Jahrhundert noch gerechtfertigt?

Fallow deer (Dama dama)

Wie lässt sich der Grundsatz „Wald vor Wild“ mit dem Natur- und Artenschutz vereinbaren? Welche Interessen stehen sich bei diesem Grundsatz gegenüber?

Tief im Süden Deutschlands lebt das Volk der Bayern, das mit einigen Besonderheiten aufwarten kann. Sie beginnen bei den Trachten, die üblicherweise mit Hirschhornknöpfen geschmückt werden. Wer südlich des „Weißwurstmeridians“ in ein Wirtshaus geht, kann fast darauf wetten, dass dort mindestens ein Hirschgeweih als Wandschmuck vorhanden ist. Das ist im benachbarten Baden-Württemberg genauso. Daraus könnte man ableiten, dass den Menschen in Süddeutschland der Schutz des Rotwilds besonders am Herzen liegt. Doch auch heute noch gilt dort der Grundsatz „Wald vor Wild“. Genau das wollen Abgeordnete der AfD-Fraktion im Bundestag mit einem Antrag auf eine Änderung des Bundesjagdgesetzes ändern.

Rotwildgebiete in Süddeutschland sind erschreckend klein

Die Bezeichnung Rotwildgebiete wird für Zonen verwendet, in denen Rotwild leben kann, ohne jeden Moment damit rechnen zu müssen, abgeschossen zu werden. Solche Areale machen in Bayern nach dem aktuellen Stand des Landesjagdgesetzes gerade einmal rund 14 Prozent der gesamten Landesfläche aus. Doch es kommt noch schlimmer. Die Zonen, in denen Rotwild geduldet wird, bringen es im benachbarten Baden-Württemberg auf lediglich rund 4 Prozent der Landesfläche. Auch in anderen deutschen Bundesländern sind die Lebensräume Rotwild und damit den „König der deutschen Wälder“ stark eingeschränkt. Dazu gehören beispielsweise Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz sowie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Auf erheblichen Teilen der Fläche dieser Länder gelten Vertreter/-innen der Gattung Rotwild zu unerwünschten Eindringlingen und müssen dort aufgrund der regionalen Jagdgesetze abgeschossen werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Rehkitze oder ein trächtiges Weibchen handelt. In der Nordosthälfte Deutschlands gibt es derzeit keine Gebiete, in denen Rotwild überhaupt nicht geduldet wird. Dort findet lediglich eine Bejagung zur Begrenzung auf einen ökologisch vertretbaren Bestand statt.

Kleine Rotwildgebiete gefährdet die Gesundheit der Bestände

Auf der einen Seite stehen Tierschützer und Wissenschaftler, die vor genetischen Defekten warnen, die aus der Inzucht entstehen können. Dieses Risiko ist nicht von der Hand zu weisen, denn es entsteht allein schon durch die Isolation kleinerer Populationen in den Gebieten, in denen Rotwild in einem gewissen Ausmaß geduldet wird. Zudem droht eine Vielzahl von Abschüssen, die infolge der Wanderung von Rotwild entstehen. Der Mensch grenzt die Lebensräume bereits mit anderen Handlungen stetig ein. Beispiele dafür sind die rege Bautätigkeit, die Aufstellung von Windkraftanlagen in Wäldern und die Rodung von Waldflächen für die Gewinnung von Holz und neuer Anbauflächen für die Landwirtschaft.

Waldbesitzer stehen hinter dem Grundsatz „Wald vor Wild“

Auf der anderen Seite finden sich die Waldbesitzer, die umfangreiche Schäden durch hohe Bestände von Rotwild befürchten. Dieses Argument lässt sich nicht von der Hand weisen, denn das sogenannte Schälen und der Verbiss tragen tatsächlich zu Waldschäden und Baumsterben bei. Doch die gezielte Rodung von Wäldern sowie die klimabedingten Folgen großflächiger Waldbrände fördern das Entstehen solcher Schäden, weil sich das Rotwild durch die Einschränkung des Lebensraums immer weiter in den Wald zurückzieht und dadurch andere Futterquellen nicht mehr nutzen kann. Über die im Bundesjagdgesetz verankerte Hege der Tierbestände ist eine Reduzierung der Waldschäden möglich. Dabei leistet die Winterfütterung gute Dienste. Doch das kostet die Waldbesitzer/-innen zusätzliches Geld, das sie nicht investieren möchten. Nicht zuletzt spült ihnen auch die Jagdverpachtung Geld in die Kassen. Außerdem sind da noch die Jäger/-innen, die ihr Hobby pflegen und sich so manches leckere Wildgericht gönnen möchten. Ihnen kommt die räumliche Begrenzung der Rotwildgebiete ebenfalls entgegen. Das Fazit ist, dass der Antrag der AfD-Fraktion kaum Chancen haben dürfte, eine Änderung der Jagdgesetze zu erwirken.

Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 20/6917, Bundesjagdgesetz, Landesjagdgesetze

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